Sturzprophylaxe in der Pflege – ein Expertenstandard wird aktualisiert
2022 war es nun soweit, nach 9 Jahren gab es die Aktualisierung des Expertenstandards beim DNQP, hier ein Auszug. In einem Fachbeitrag sind sehr treffend folgende Änderungen zusammengefasst:
- Pflegefachkräfte tragen mehr Verantwortung
- Von Einrichtungen der Pflege werden mehr Handlungsleitlinien, generell mehr Verfahrensregelungen gefordert – sie werden mehr in die Pflicht genommen
- räumliche und technische Voraussetzungen müssen geschaffen werden – das „Aus“ für Beschäftigung im Frühstücksraum oder im Eingangsbereich der Einrichtung? (Hoffentlich)
- Ausbildung der Mitarbeiter um die Bewegungsförderung alters- und mobilitätsgerecht mehr in den Alltag zu integrieren
- Wünsche der Bewohner sollen in die Bewegungsförderung einfließen
Das klingt doch vielversprechend. Theorie und Praxis liegen jedoch meist auseinander. Meine Erfahrungen jedoch in den 24 Jahren Training von Mitarbeitern ist, wenn der Expertenstandard ein Thema bearbeitet, die MDK-Mitarbeiter die Begutachtungskriterien entsprechend anpassen, verändert es sich auch.
Wir erinnern uns:
- „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“, erste Entlassung des Expertenstandards war 2000 und welche Erfolgsgeschichte auf der Ebene des Aufkommens von Dekubitus in der Langzeitversorgung können wir seitdem beobachten?
Das soll Mut machen für die Umsetzung jedes weiteren Expertenstandards.
Stürze in Alter – eine gute Sturzprophyaxe in der Pflege ist notwendig
Es gibt unterschiedliche Statistiken, je nach Erhebung – wichtig für uns alle ist, dass Stürze im Alter häufig vorkommen. ca. 40 Senioren von 100 der über 80-Jährigen stürzen vor allem im Pflegeheim, in der ambulanten Pflege stürzt jeder zehnte innerhalb von 2 Wochen in der Häuslichkeit.
Kommt eine chronische Erkrankung, Einschränkungen des Alters dazu z.B. Demenz, M. Parkinson, Störungen des Gleichgewichtssinns, veringertes Sehvermögen usw. steigt das Risiko auf 10/20 mal im Gegensatz zu gesunden Gleichaltrigen. Mehr dazu >>>
„Stürze gehören zum Alter“ hört man allenthalben, ca. 30% der >65jährigen stürzen 1x/Jahr – wiederum 30% davon mit ernsthaften Verletzungsfolgen. Mit dem Gedanken der Selbstbestimmung im Alter können wir Menschen nicht in Watte packen, also braucht es eine gut ausgearbeitete Verfahrensregelung, die das Sturzrisiko genau analysiert und die richtigen Maßnahmen ergreift.
Sturzprophylaxe in der Pflege, welche Veränderungen müssen beachtet werden?
- Das Wissen der Pflegekraft
- Information, Anleitung und Training von Betroffenen und ggf. Angehörigen
- Die Rolle der Einrichtung
- S2a Die Einrichtung verfügt über eine Verfahrensregel zur Sturzprophylaxe.
- S4a Die Einrichtung ermöglicht zielgruppenspezifische Interventionsangebote und gewährleistet geeignete räumliche und technische Voraussetzungen sowie Hilfsmittel für eine sichere Mobilität.
- S5a Die Einrichtung stellt Ressourcen zur Auswertung und Analyse von Stürzen zur Verfügung.
Die Rolle der Einrichtung, die in der Aktualisierung des Expertenstandards Sturzprophylaxe in der Pflege viel genauer definiert wird, ist der Hauptfokus in diesem Artikel.
Klärung „Verfahrensregelung – Expertenstandard – Pflegestandard“
Falls hier genauer Klärungsbedarf herrscht:
- Verfahrensregelung ist ein Begriff des Qualitätsmanagements einer Einrichtung. Verfahrensregelungen in der Pflege sind wichtige organisatorische Richtlinien und Vorgaben, die sicherstellen, dass die Pflegepraxis standardisiert und effektiv durchgeführt wird. Die Verfahrensregelungen in der Pflege sind oft in Form von Pflegeprotokollen, Standardarbeitsanweisungen und Leitlinien vorhanden.
- Expertenstandards werden von einem Expertenteam einheitlich für alle Einrichtungen entwickelt. Die Expertenstandards werden nach § 113a SGB XI Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege entwickelt. Die meisten Expertenstandards entwickelt der DNQP
- Pflegestandards werden auf der Basis der Expertenstandards, den Vorgaben des RKI, pflegewissenschaftlichen und medizinischen Grundlagen betriebsintern erstellt, also für jede Einrichtung individuell ausgearbeitet.
Verfahrensregelung und Experten-/Pflegestandards haben also das gleiche Ziel: strukturierte Prozessbeschreibungen, die sicherstellen sollen, dass die selbe Arbeit von allen Mitarbeitern nach dem selben Schema bearbeitet wird. Die Begriffe variieren – je nach Qualitiy Management System (z.B. DIN ISO), die Kernelemente sind in jedem QMS gleich.
Ein schönes Beispiel mit Regelung wer, was, wann, wie durchzuführen hat, regelt z.B. die Verfahrensregeln des Konzeptstandard „Sturzprophylaxe“ pqsg, der wiederum auf die direkten Bedürfnisse einer Einrichtung angepasst werden kann. Natürlich unter Beachtung aller haftungsrechtlichen Regeln.
Denn Einrichtungen der Pflege ist es wichtig, Maßnahmen zur Sturzprophylaxe zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Bewohner zu gewährleisten.
Verfahrensregeln zur Sturzprophylaxe in der Pflege
Die Rolle der Einrichtung ist im Expertenstandard (Auszug mit Übersichtstabelle) unter S2a, S4a und S5a festgelegt und genau beschrieben. So sind folgende Schritte notwendig:
- Risikobewertung: Hierbei werden die Bewohner auf ihr Sturzrisiko hin untersucht und bewertet. Dies kann beispielsweise anhand eines speziellen Assessments oder aufgrund von medizinischen Daten geschehen.
- Maßnahmenplanung: Basierend auf der Risikobewertung werden individuelle Maßnahmen zur Sturzprophylaxe für jeden Bewohner geplant. Dies kann beispielsweise die Verwendung von Gehhilfen, das Anbringen von Griffen im Bad oder die Verwendung von Bettschutzgittern umfassen.
- Umsetzung der Maßnahmen: Die geplanten Maßnahmen müssen umgesetzt werden, um eine effektive Sturzprophylaxe zu gewährleisten. Hierfür sollte sichergestellt werden, dass alle Beteiligten, einschließlich Pflegekräfte und Bewohner, die notwendigen Ressourcen und Schulungen erhalten.
- Überwachung und Überprüfung: Die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Sturzprophylaxe muss regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um eine kontinuierliche Verbesserung zu gewährleisten.
- Einschränkungen für Bewohner: die Beweglichkeit der Bewohner muss überprüfbar auf ein absolutes Minimum reduziert sein.
Wie kann das nun konkret aussehen, ambulant und stationär – Sturzprophylaxe in der Pflege?
Meine Vorschläge, gesammelt in vielen Seminaren zum Thema:
- Überprüfung der Lichtverhältnisse in allen Bereichen
- Sturzrisikofaktoren definieren bei allen Möbeln zum Sitzen, Toiletten, Dusche, Teppiche usw.
- Hilfsmittel installieren und dazu beraten: rutschfeste Materialien im Nassbereich, Bettgitter, Fallschutzmatten, Haltegriffe, Greifhilfen, Gehhilfen, Anziehhilfen, Alltagshilfen für die Freizeit, wie Sitzhocker im Garten, Hochbeete, Leselupen, Kopfhörer und Hörgeräte, Fernbedienungen von Rollladen, Beleuchtung oder Heizung
- im initialen Assessment sollen Bewohner beim Ermitteln der Risikobereiche mitarbeiten ggf. Hinzuziehen eines Experten des Sanitätshauses für eine sichere Umgebung
- Menschen mit Demenz bieten durch ihre veränderte Wahrnehmung noch weitere Herausforderungen im Rahmen des Sturzrisikos, es betrifft nicht nur die Lichtverhältnisse, das Stichwort für mehr Information „demenzgerechte Raumgestaltung“
- Verfahrensregeln installieren, dass die Kleidung der Bewohner auf regelmäßig auf Sicherheit getest wird z.B. beim Kauf neuer Schuhe
- Erhaltung der Gesundheit durch regelmäßige Bewegungsangebote an frischer Luft und in geeigneten Räumlichkeiten, tägliche Kurzprogramme zur Förderung der altersangepassten Fitness, Sitztanz, Personal schulen in Programmen wie „Pflegebedürftige AKTIV Fördern (PAF)“, digitale Angebote wie z.B. Steuerung einer Motorradfahrt an einem Bildschirm durch Körperbewegung
- da die Pflegekräfte die Medikamentengabe im Hinblick auf Wirkungen und Nebenwirkungen zum Sturzrisiko in der Krankenbeobachtung mehr in den Fokus nehmen und damit ihr Wissen dem therapeutischen Wissen angleichen sollen, muss das Personal nachgeschult werden
- wie oben erwähnt, soll die Bewegungsfreiheit des Betroffenen möglichst nicht eingeschränkt sein, so sind regelmäßige Schulung zum Thema FEM (Freiheitsentziehende Maßnahmen) wichtig, da die Entscheidungsgrenzen oft unklar sind
- Pflegekräfte haben lt. Expertenstandard die Aufgabe zur regelmäßigen Beratung, eine gute Grundlage dazu habe ich hier>>> gefunden, eine sehr umfassende Broschüre „Gleichgewicht und Kraft“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
- ein gutes Sturzmanagement nach einem Sturz mit zentraler Erfassung des Sturzgeschehens, damit Gefahren erkannt und im Vorfeld bearbeitet werden können bzw. überprüfbar bearbeitet wurden
Meine Seminarangebote zum Thema:
- Sturzlos glücklich, der Expertenstandard des DNQP
- „Musik liegt in der Luft“ – Sitztanz
- Fit und vital im höheren Lebensalter mit Freude
- FEM und weitere Rechtslagen in der Pflege für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz